„Wetter und Weihnacht drängten“

Der folgende Beitrag wurde im Rahmen des Adventskalenders 2024 des Instituts für Geschichte an der TU-Darmstadt am 22.12.2024 veröffentlicht.

„Wetter und Weihnacht drängten“1

Bildunterschrift: Titelcover des monatlichen Verbandsmagazins des Deutschen Roten Kreuzes vom Februar 1969.

Bildquelle: Deutsches Rotes Kreuz. Zentralorgan (1969) 2, Titelcover.

Das Foto zeigt sechs von der Fahrt erschöpfte Männer, die sich an einem Bach waschen. Ihre Fahrzeugkolonne, darunter schwer beladene LKW-Sattelschlepper, wartet aufgereiht im Hintergrund. Eine karge Hügellandschaft mitsamt Tierherde ist zu erkennen. Die Titelseite des DRK-Verbandmagazins „Deutsches Rotes Kreuz Zentralorgan“ vom Februar 1969 zeigt einen Moment der Rast, ein Foto, das noch im alten Jahr, wohl im November oder Dezember 1968, aufgenommen worden war.

Das Titelcover war der Auftakt für eine dreiteilige Reportage des Redakteurs Norbert Schäfer im DRK-Verbandsmagazin, welche auf den Hilfseinsatz des DRK für die Erdbebenopfer in der iranischen Provinz Khorasan Ende 1968 zurückblickte.

In einer der ersten Meldungen zum Hilfseinsatz des DRK im Iran vom Januar 1969 heißt es:

„Am 21. November 1968 startete in Goddelau bei Darmstadt ein umfangreicher Transport mit Hilfslieferungen des Deutschen Roten Kreuzes für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in Persien. 21. Mehrzweckhäuser des DRK und 1 großes Stromaggregat verladen auf 4 DRK-eigene Sattelschleppern, traten die etwa 2wöchige Reise nach dem Iran an. 10 Angehörige des DRK führen diesen Transport auf dem Landstraßenwege über Österreich, Jugoslawien, Bulgarien, die Türkei an seinen Bestimmungsort im Nordosten von Persien. […] Den Transport begleitete auch ein Mitarbeiter der Schriftleitung des DRK-Zentralorgans, unser Redakteur Norbert Schäfer, der […] ausführlich über seine Eindrücke von dieser Reise berichten wird. […] Kurz vor Weihnachten trafen die vier Sattelschlepper wieder in Bonn ein. Für die acht Fahrer war ein ebenso interessantes wie anstrengendes Unternehmen beendet. Rund 14 000 km waren zurückgelegt.“2

Mit einem zeitlichen Abstand von über 50 Jahren, als historische Quelle betrachtet, lässt sich Schäfers Reportagereihe über den DRK-Hilfskonvoi in den Iran auf zwei Ebenen lesen.

Sie kann einerseits als eine humanitäre Interpretation des Reiseberichts jenseits der Grenzen der BRD betrachtet werden, gespickt mit Passagen des Abenteuerlichen: Motorpannen im Niemandsland, von Schafsherden blockierte Straßen oder auch die geglückte, wenngleich halsbrecherische Nachtfahrt über unwegsames Gelände, werden in der Reportagereihe als Hindernisse beschrieben, welche Mensch und Maschine zu meistern haben, um unter Zeitdruck in das Katastrophengebiet zu gelangen. Wohl ganz im Sinne der Öffentlichkeitsarbeit des DRK, bietet Schäfers Erzählung den Leser:innen ein gutes Ende an und gibt nebenbei noch Einblicke in die Herausforderungen einer humanitären Hilfsaktion jenseits der Grenzen der BRD frei.

Es wird suggeriert: Nur dank der Anstrengungen der Beteiligten konnten die Spendengelder für die Überlebenden des Erdbebens ihren Zweck erfüllen, indem das Ziel erreicht wurde. Die Wirksamkeit der Hilfsleistung galt im Grunde schon vor der eigentlichen Nutzung der Hilfsgüter durch die Überlebenden des Erdbebens als sichergestellt. Die Rückkehr der DRK-Mannschaft nach Deutschland, rechtzeitig vor Weihnachten, rundet das Bild einer zweifach geglückten humanitären Heldenreise ab: Die Hilfsgüter waren ausgeliefert und die DRK-Mannschaft zurückgekehrt, um die Festtage mit ihren Familien verbringen zu können.

Die reisende Männergruppe in DRK-Uniform erscheint in dieser Erzählung als bestens vorbereitete, erfinderische und ausdauernde Gemeinschaft, die sich in den meisten Fällen zwar selbst helfen kann, allerdings auch die Kooperation und Unterstützung von Menschen findet, deren Weg sie kreuzt.

So verschweigt der Bericht keineswegs die Mithilfe der Überlebenden der Erdbebenkatastrophe, die mit anpacken, um die Notunterkünfte zu errichten. Ebenso räumt sie Erzählung der Zusammenarbeit zwischen DRK und der Roter-Löwe-mit-Roter-Sonne-Gesellschaft Iran einen Platz ein, gilt es doch die partnerschaftliche Solidarität von zwei humanitären Organisationen hervorzuheben. Denn schließlich hatte das DRK seine Hilfe im Vorfeld angeboten und war in den Iran eingeladen worden. Der Konvoi hatte sich nicht von allein in Bewegung gesetzt.

Die Reportagereihe ist gleichzeitig, wenn auch auf einer subtilen Art, eine Erzählung, in der Differenz verhandelt wird.

Schon die Überschrift hat es in sich. Dort ist zu lesen: „Mit dem Roten Kreuz in den Orient.“ Das orientalisierte, vermeintlich Fremde, das der Leserschaft in der BRD beschrieben wird, ist nicht nur die karge Winterlandschaft Anatoliens oder die schlammige Wüste in der Katastrophenzone um den Ort Maiam Dascht, es ist auch die vermeintlich technische Überlegenheit der LKWs aus der BRD, die dort im unwegsamen Gelände weiterzukommen scheinen, wo die von Einheimischen gefahrenen Fahrzeuge sprichwörtlich im Morast stecken bleiben.

Norbert Schäfer lässt Momente, in denen die Bewunderung der Überlebenden für die Notunterkünfte aus der BRD zur Sprache kommt, übergehen in wiederholte, einseitige Dankbarkeitsbekundungen gegenüber der DRK-Mannschaft: Die Bevölkerung von Maiam Dascht wird auf diese Weise als Empfängerin einer vermeintlich universellen, weil auch in der Fremde wirksamen humanitären Hilfsleistung aus der BRD dargestellt. Die Reportage berichtet nicht von den Schicksalen der Überlebenden, weder von Verlust noch von Zerstörung, wir erfahren keine Namen.

Während die DRK-Mannschaft zwar erschöpft und um Abenteuer reicher in die BRD zurückkehrt, um Weihnachten zu feiern, bleiben ansonsten weitere Konsequenzen aus. Der Hilfseinsatz scheint erfolgreich beendet, das Kapitel Iran abgeschlossen. Eine Wiederholung oder vergleichbare Unternehmungen in der Zukunft sind denkbar.


  1. Norbert Schäfer: Mit dem Roten Kreuz in den Orient. In: Deutsches Rotes Kreuz. Zentralorgan (1969) 2, S. 17-22, hier: S. 18. ↩︎
  2. o.A.: DRK-Häuser nach Persien gesandt. In: Deutsches Rotes Kreuz. Zentralorgan (1969) 1, S. 2. ↩︎

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